Es geht los! – Emden bis Scheveningen

Endlich öffnet sich das Tor der Nesserlander Schleuse in Emden und wir fahren hinaus in die Ems. In den letzten Tagen haben wir unsere Vorräte aufgestockt, uns von Freunden und Familie verabschiedet und unsere KISS seeklar gemacht. Alle losen Teile sind in den Schränken und Schubladen, in Kisten und unter den Sitzbänken und Kojen verstaut. Wir sind gespannt, ob wir uns merken können, was alles an Bord ist und überlegen, dass eine Proviant- und Inventurliste inkl. Lagerort eine gute Idee sein könnte. Aber das machen wir später!

Jetzt erst einmal los, Kurs Frankreich – im Emder Außenhafen winken wir Annes Familie, die sich fast vollständig an der Hafenmole versammelt hat und biegen dann rechts ab, in Richtung Borkum und der Emsmündung. Auf der Ems motoren wir, es weht fast kein Wind. Auch nachdem wir hinter Borkum links abgebogen sind und die niederländischen Inseln in der Ferne an uns vorbeiziehen, müssen wir leider motoren. So war das nicht geplant!

Nach dem Abendessen dann der Ruf von Draußen: „Schweinswale voraus!“. Und tatsächlich, vielleicht 100m vor uns tauchen die Rückenflossen von zwei ausgewachsenen Tieren sowie eines Jungtieres aus dem Wasser auf. Wir hängen beide gespannt an der Reling und freuen uns, als die Rückenflossen beim nächsten Mal näher am Boot auftauchen. Bis auf vielleicht 30m kommen die Tiere an das Boot heran, dann ziehen sie an uns vorbei und verschwinden in den Wellen achteraus. Wir beobachten die Wasseroberfläche, vielleicht sind ja noch weitere Schweinswale unterwegs. Leider nein – stattdessen bemerken wir, dass die ansonsten in der Abendsonne grau-lila daliegende Nordsee an einigen Stellen richtiggehend aufgewühlt scheint und Möwen über diesen Stellen ihre Kreise ziehen. Es blitzt silbern auf – wir vermuten, dass hier ganze Fischschwärme unterwegs sind.

Der Tag verabschiedet sich mit einem orange-rot leuchtenden Himmel und einem sehr schönen Sonnenuntergang. Später am Abend, Philipp hat gerade die erste Wache von 22-2 Uhr übernommen, wir motoren immer noch fleißig gen Westen, taucht das Boot in neonblau aufleuchtendes Wasser ein – Plankton! Überall leuchtet das Wasser auf, die Bugwellen spritzen hell zur Seite, das Kielwasser bleibt ebenfalls blau leuchtend zurück. Sogar die Toilette, welche mit Seewasser gespült wird, leuchtet von innen heraus.

Zum Wachwechsel um 2 Uhr morgens hat sich das Naturschauspiel etwas verringert, es ist jetzt nur noch ein schwaches grünes Leuchten, wie wir es auch aus dem ostfriesischen Wattenmeer kennen, zu sehen. Dafür hat es aufgefrischt, es wehen 3-4 Bft. Wind. Wir setzen die Segel und gehen hoch an den Wind.

Bis Vlieland kommen wir gut voran, auf Höhe Terschelling knickt unser Kurs dann aber leicht nach Süden ab und müssen wir aufkreuzen. Dazu gesellt sich dann auch noch der Gezeitenstrom, welcher nun ausgerechnet in die verkehrte Richtung setzt. Wir kommen kaum noch voran, quälend langsam ziehen Terschelling und Texel an uns vorbei, teilweise segeln wir acht Seemeilen Strecke, um eine Seemeile Höhe gut zu machen. Außerdem steht eine unangenehme Dünung, die das Boot immer wieder in die kurzen Wellen stampfen lässt.

Kurz bevor wir an Texel vorbei sind, beschließen wir, dass es so wenig Sinn hat. Wir gehen auf Kurs Den Helder, der Hafenstadt am nördlichsten Zipfel der Provinz Noord-Holland und Einfallstor in das IJsselmeer. 27 Stunden nach dem Passieren der Nesserlander Schleuse machen wir am Steg des Yachthafens fest, die ersten 150 Seemeilen liegen im Kielwasser und wir fallen nur noch müde ins Bett.

Nach dem Frühstück am nächsten Morgen geht der Blick auf die Windprognose, diese hat sich seit unserer Abfahrt in Emden doch erheblich geändert. Auf der Nordsee weht ordentlich Wind, aus der für uns falschen Richtung. Wir beschließen, einen kleinen Umweg durch das IJsselmeer zu machen, hier sind wir geschützt vor den Wellen der Nordsee und es setzt auch kein Gezeitenstrom. Ein Aufkreuzen gegen den Wind wäre somit relativ problemlos möglich.

Nachdem wir das Gedrängel an der Schleuse in Den Oever überstanden haben, geht es für uns bei 5-6 Bft. in Rauschefahrt nach Süden, pünktlich zum Abendessen fällt der Anker in einer geschützten Bucht nördlich von Enkhuizen. Wir verbringen einen entspannten Abend zu Besuch auf einer anderen Langfahrtyacht und es folgt eine ruhige Nacht vor Anker, bevor wir am nächsten Tag unser Dinghi zu Wasser lassen und uns für einen Landausflug fertig machen. Enkhuizen hat eine sehr schöne Innenstadt, alte Gebäude stehen zwischen unzähligen Hafenbecken und Grachten. Wir bummeln bei bestem Wetter durch die Straßen und genießen den Trubel, der hier trotz Corona herrscht, bevor wir schlussendlich noch einen niederländischen Supermarkt aufsuchen. Hier werden größere Mengen Vla, Schokoladenstreusel, Lakritz und Stroopwafels gebunkert. Niederländische Supermärkte sind einfach toll!

Da sich zum Beginn der nächsten Woche eventuell ein Wetterfenster für die Weiterfahrt auftut, beschließen wir, am nächsten Tag weiter in das Markermeer und in Richtung Amsterdam zu segeln. Wir kreuzen gegen den Wind auf und kommen gut voran, als Philipp bemerkt, dass die KISS plötzlich nach Steuerbord luvgierig wird. Wir gucken uns zunächst ratlos an und prüfen zur Sicherheit die Bilgen, bevor wir einen Blick über die Badeplattform in Richtung Ruder und Saildrive werfen. Und tatsächlich, es scheint sich ordentlich Seegras verfangen zu haben.

Viele Möglichkeiten gibt es da nicht, die Segel werden geborgen und der Anker fallen gelassen. Anne steigt in ihren Neoprenanzug, setzt sich die Taucherbrille auf und geht auf Tauchgang. Nach drei kurzen Tauchgängen sind Ruder und Saildrive wieder frei, zur Sicherheit wird noch der Backbord Rumpf überprüft, dann geht der Anker auf und die Segel werden wieder gesetzt. Die restliche Fahrt in Richtung Amsterdam verläuft anstrengend, der Wind frischt auf bis 7 Bft., es herrscht viel Verkehr. Nichtsdestotrotz fällt am Abend der Anker kurz vor Amsterdam.

Am nächsten Morgen dann die Ernüchterung, die Windprognose hat sich schon wieder geändert! Sehr verlässlich scheint sie dieses Jahr bislang nicht zu sein. Also muss ein Alternativplan her. Nach einer kurzen Onlinerecherche setzen wir Kurs auf das zehn Seemeilen entfernte Muiderberg, hier gibt es ein prima Stehrevier zum Kiten. Nach einem kurzen Mittagessen wird unser Kite Equipment in das Dinghi geladen und fahren wir von unserem Ankerplatz an das Ufer zum Kiten. Der restliche Nachmittag vergeht wie im Flug, der Wind weht gut und immer wieder kommt sogar die Sonne durch. Unsere Laune steigt trotz der unzuverlässigen Windprognosen.

Umso grauer dann der nächste Tag, es ist kalt, es nieselt und die Sicht ist mies. Wir verbringen den Tag vor Anker und Lesen, Spielen Brettspiele und genießen Apfelgebäck zum Tee. Insgesamt ein entspannter Tag, aber etwas wärmer und freundlicher dürfte es Mitte August schon sein. Der Wetterbericht verheißt kein besseres Wetter für die nächsten Tage, wir verholen für eine Nacht nach Volendam, um wenigstens etwas Segeln zu können und damit uns die Decke nicht auf den Kopf fällt.

In Volendam dann (wieder einmal) eine gute Windprognose, wir wollen einen neuen Versuch in Richtung Frankreich starten. Dafür geht es aber erst einmal zurück nach Amsterdam, bei Nieselregen unter Motor durch den Nordseekanal nach IJmuiden (unterwegs entsprechend dem Wetter mit leckerer Linsensuppe, die ordentlich wärmt!) und von dort am nächsten Tag nach Scheveningen, unserem geplanten Absprunghafen.

In Scheveningen angekommen ist die Windprognose tatsächlich noch besser als bei Abfahrt in Volendam! Wie es aussieht, könnte der Nordostwind sogar bis über die Biskaya nach Galizien reichen. Zur Sicherheit bunkern wir ausreichend frische Lebensmittel für die nächsten sieben Tage, vielleicht ist uns der Wind ja doch noch wohlgesonnen!

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