Weihnachten auf hoher See

Nach einer entspannten ersten Hälfte unserer Atlantikquerung soll über die Weihnachtstage der Wind auffrischen, 25kn Grundwind und dazu Wellen von 4,5m sind angekündigt. An Heiligabend selber bleibt der Wind noch verhältnismäßig ruhig, nur das beginnende Geschaukel nervt ein wenig. Wir machen es uns so gemütlich wie möglich, genießen Tee und Kekse, dazu gibt es Geschenke von befreundeten Seglern und das NDR-Rundfunkprogramm „Gruß an Bord“, welches wir über Philipps alten Weltempfänger über Langwelle mehr schlecht als recht empfangen. Schön ist es trotzdem und es kommt auch ein wenig Heimweh auf! Gegen das Heimweh hilft unser Weihnachtsessen – Rinderrouladen mit Rotkohl und Nudeln. Die Rouladen aus der Dose stammen von einem Fleischer aus Delmenhorst, wurden uns von unseren Segelvereinskameraden zum Abschied aus Bremen geschenkt und sind ausgesprochen lecker.

In der Nacht vom Heiligabend zum 1.Weihnachtsfeiertag frischt es dann so richtig auf, der Wind geht auf die angekündigten 25kn hoch, die Böen liegen bei 35kn. Auf den Wellen bilden sich weiße Schaumkronen, wir surfen sie mit 12kn hinab. Über Tag, der Himmel und der Atlantik sind inzwischen Stahlgrau, wird der Wind dann immer böiger, wir reffen die Vorsegel immer weiter und fahren zum Abend hin im 4. Reff, um die Windspitzen abzufangen. Zwischen den Böen sind wir damit eher langsam, möchten aber das Material (und unsere Nerven) schonen. Am Ende wird es vermutlich auch keinen allzu großen Unterschied in der Gesamtdauer machen…

Der 2.Weihnachtsfeiertag beginnt mit unserem ersten richtigen Squall, einem Regenschauer inkl. Winddreher und kurzzeitigen Böen bis 40kn. Wir rauschen für die nächsten 10-15min trotz der gerefften Segel mit konstant 10kn Fahrt durch die stockfinstere Nacht. Ein wenig unheimlich ist die Situation schon: wir sitzen drinnen im Trocknen, die Windgeräusche werden durch die geschlossenen Cockpittüren gedämpft, nur die Instrumente am Navigationsplatz zeigen uns die Wind- und Bootsgeschwindigkeit. Der Autopilot macht seine Sache wunderbar, steuert die Wellen schön aus und dann ist der Spuk auch schon wieder vorbei. Zumindest vorerst, je weiter man nach Westen kommt, desto häufiger treten die Squalls nämlich auf.

Der 14. Tag auf See beginnt mit sehr viel Aufregung: um 02.30 Uhr morgens steigt eine Welle mit lautem Getöse ins Cockpit ein und dringt trotz geschlossener Cockpittüren in den Salon vor. Schnell sind Wischlappen bei der Hand und wird das Wasser aufgenommen, bevor es sich allzu weit ausbreiten kann. Kaum ist der Salonboden wieder trocken, steigt uns ein leichter Brandgeruch in die Nase und fängt auch schon der Rauchmelder im Backbord-Maschinenraum an zu piepen. Philipp zieht sich schnell eine Rettungsweste über, greift die Stirnlampe und hechtet hinaus in die Dunkelheit. Anhand der Bewegungen des Bootes wird versucht zu erahnen, wann ein guter Moment ist, die Maschinenraumluke zu öffnen. Denn wenn bei geöffnetem Maschinenraum eine Welle einsteigen sollte, haben wir ein ernstes Problem.

In dem Moment wo der Maschinenraumdeckel aufgeht, hört zum Glück das Piepen des Rauchmelders wieder auf. Dafür geht jetzt das Piepen des Wassermelders in der Bilge los: es schwappt ein wenig Salzwasser auf dem Boden des Maschinenraums. Die Welle scheint sich nicht nur ihren Weg durch die Cockpittür gebahnt zu haben, sondern hat sich auch durch die Dichtung vom Maschinenraumdeckel gearbeitet. Hinter Philipp, der jetzt im Maschinenraum sitzt, wird die Luke geschlossen, damit nicht noch mehr Wasser in den Maschinenraum gelangt. Anne sitzt währenddessen angepickt draußen und geht „Wellen-Wache“, damit Philipp nicht im verkehrten Moment wieder nach draußen kommt.

Ein Brand ist zum Glück nicht zu sehen, es riecht lediglich nach verschmortem Plastik. Die Ursache ist schnell gefunden: der Mess-Shunt vom Batteriemonitor ist durchgebrannt. Wir legen den Maschinenraum trocken, wischen mit Süßwasser nach und werfen einen kritischen Blick auf sämtliche elektrischen Bauteile – der Autopilot und das 12V Stromnetz im Allgemeinen funktionieren noch. Alles andere kann bis morgen früh warten. Die stockfinstere Nacht, die hohen Wellen und der starke Wind fühlen sich in diesem Augenblick einfach richtig bescheiden an.

Die restliche Nacht ist an Schlaf nicht mehr zu denken, der Schreck sitzt uns tief in den Knochen. Bei Tageslicht inspizieren wir den Maschinenraum im Detail, zum Glück ist außer dem Mess-Shunt nichts kaputt gegangen. Den Inverter für die 220V-Versorgung trauen wir uns trotzdem nicht anzumachen, wir haben Angst, dass da noch Feuchtigkeit drin sitzt und wir das Gerät kurzschließen. Bis wir auf Martinique ankommen, wird von nun an das Teewasser klassisch im Kessel auf dem Gasherd gekocht.

In der darauffolgenden Nacht geraten wir in unseren nächsten Squall, der Wind springt wieder auf 40kn und die KISS fängt an, Fahrt aufzunehmen. Und plötzlich ist es ganz still an Bord: kein Möbelstück knarzt mehr, keine Welle schlägt unter das Brückendeck, das Rauschen des vorbeifließenden Wassers an den Rümpfen ist fast nicht mehr zu hören. Unsere KISS liegt komplett ruhig und schaukelt nicht mehr in den Wellen. Wir gucken uns verdutzt an und fragen uns, was denn jetzt los ist. Es fühlt sich an als ob wir mit dem Schiff an Land stehen würden. Unser verwunderter Blick auf die Logge zeigt uns 16kn Fahrt an. Und dass nicht nur als Spitze die Welle runter, sondern konstant. Wir surfen gerade nicht eine Welle runter, sondern haben uns vor die Welle gesetzt. Ein tolles Gefühl, welches nur leider nach wenigen Minuten schon wieder vorbei ist. Die geplante Ankunftszeit auf Martinique, welche sich kurzfristig auf „Übermorgen“ verschoben hatte, spring wieder auf ihren ursprünglichen Wert zurück.

Nach vier Tagen stürmische See beruhigt sich das Wetter wieder, das Segeln wird entspannter. Wir reffen die Vorsegel aus und nutzen die Gelegenheit für einen Kaffee draußen in der Sonne auf dem Vordeck. Außerdem machen wir das Boot sauber und inspizieren unser Obst und Gemüse. Die Ware, welche wir auf Gran Canaria auf dem Markt gekauft haben, ist von guter Qualität: bislang ist außer dem ein oder anderen welken Blatt nichts über Bord gegangen.

So langsam wäre nun auch etwas Platz im Kühlschrank für den frisch gefangenen Fisch. Motiviert kommt die Angelleine aus der Backskiste, aus der Köderkiste der Gummifisch und das Wasser läuft Philipp schon im Mund zusammen, beim Gedanken an Sushi, Thunfisch Steaks oder ein Mahi Mahi Ceviche. Ein Blick auf den Atlantik macht die Vorfreude allerdings schnell zunichte. Philipp flucht vor sich hin, was das denn hier sei, wir sind doch auf dem Atlantik und nicht auf dem Fußballplatz! Es wird immer schlimmer, je weiter wir nach Westen kommen. Der Atlantik ist voll mit Sargassum, einer Braunalge. Wenn man den Köder ausgebracht hat, kann man ihn auch direkt wieder reinholen, um ihn von der Alge zu befreien. So macht Angeln definitiv keinen Spaß…

Auch die nächsten Tage verlaufen entspannt, wir genießen herrliches Passatwind-Segeln, wechseln nur gelegentlich vom Parasailor auf unsere doppelte Genua und zurück. Die KISS liegt gut in den Wellen, das Wasser leuchtet strahlend Blau, der Atlantik wirkt unendlich tief und weit. So macht Segeln Spaß!

Die letzten beiden Tage frischt der Wind dann noch einmal auf, der Himmel zieht zu und der Atlantik zeigt sich uns zum Abschied noch ein letztes Mal in einem tiefen Grau. Es ziehen jetzt auch über Tag Regenschauer durch, die See ist kurz und steil. Wir vermissen das schöne Segeln der letzten Tage, freuen uns aber gleichzeitig auf den bevorstehenden Landfall.

Martinique lässt lange auf sich warten: waren die ersten Vögel doch schon 175 Seemeilen vor der Küste zu sehen, liegt die Insel selber im Dunst und lässt sich erst aus einer Entfernung von 15 Seemeilen ausmachen. Wir setzen unser Großsegel, legen die Genuas übereinandern und luven zum Endspurt auf 120° zum Wind an. Auch wenn es jetzt nur noch wenige Stunden sind, können wir es fast nicht erwarten und starren gebannt abwechseln auf den Horizont, die Seekarte und die Logge.

Und dann ist es soweit: vor St. Anne im Süden Martiniques fällt nach 22 Tagen auf See der Anker, wir sind müde und erschöpft, aber auch glücklich, es auf eigenem Kiel in die Karibik geschafft zu haben. Neben uns taucht eine Schildkröte auf, weiter vorne sind Palmen am Strand. Eine weitere Atlantikquerung, da sind wir uns einig, brauchen wir so schnell aber nicht wieder. Da trifft es sich doch gut, dass jetzt erst einmal entspanntes Inselhopping, Schnorcheln, Regenwald, Kitesurfen und Rum-Punch in der Karibik ansteht!

Unsere Atlantikquerung in Zahlen:

Dauer: 531 Stunden, davon 1 Stunde unter Motor

Zurückgelegte Strecke: 2906 Seemeilen

Durchschnittsgeschwindigkeit: 5,5kn

Spitzengeschwindigkeit: 16,8kn (neuer KISS-Rekord)

Verbrauchtes Wasser: 450l (inkl. regelmäßiger Süßwasserduschen)

Tatsächlich gesehene Schiffe/Boote: 5, davon 2 auf direktem Kollisionskurs mit uns

Geangelte Fische: 0 (am Anfang war der Kühlschrank zu voll, zum Ende hin gab es zu viel Seegras)…außerdem zwei Tintenfische und unzählige fliegende Fische an Deck

Momente, in denen man sich gefragt hat, warum man das Ganze macht: einige

Momente, in denen man glücklich war, es dennoch zu tun: auch einige 🙂

3 Gedanken zu “Weihnachten auf hoher See”

  1. Hey ihr Beiden,

    das liest sich sehr spannend. Hätte nie gedacht, dass in einen Kat eurer Größe eine Welle einsteigen kann. Freuen uns für euch, dass ihr soviel Glück im Unglück hattet und mit dem Schrecken davon gekommen seid. Aber ich denke, das ist schon schlimm genug.
    Wünschen euch erlebnisreiche Tage, angenehme Menschen um euch und ein immer zahmes Meer.
    Grüße von Claudia und Thomas auf ihrem Kat Kaimiloa.

    1. Moin!
      Ne, das hätten wir auch nicht gedacht… Vielen Dank und liebe Grüße an Bord der Kaimiloa, wo steckt ihr denn gerade?
      Anne & Philipp

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